Yin-Yoga – unendlich lange in einer Position verharren, ausgepolstert mit Kissen, Blöcken, Decken und dabei an nichts denken, also unterm Strich erzwungene Langeweile.
… das WAREN meine Gedanken zum Yin-Yoga! Ich hatte es nie ausprobiert und es stand auch so ziemlich weit unten auf meiner Liste der Yoga-Stilen, die ich unbedingt mal ausprobieren möchte. Ich liebe es zwar mich zu dehnen, aber 60 Minuten lang oder sogar noch länger, puhh, nur allein der Gedanke daran hat Unruhe in mir ausgelöst.
Mittlerweile muss ich gestehen, habe ich mich total in Yin-Yoga verliebt, vor allem auch das Unterrichten.
Ich habe mich kürzlich mit einer guten Freundin darüber unterhalten, wie wir es unerwarteter Weise lieben in die Richtung zu unterrichten, obwohl wir sonst eher im Yang-Bereich praktizieren. In meinen Retreats kommen mir teils ähnliche Gedanken wie oben beschrieben zum Yin Yoga entgegen. Deswegen, dachte ich, berichte ich mal von meiner Seite aus, was mich an Yin-Yoga so fasziniert, obwohl ich niemals daran dachte es zu machen oder sogar zu unterrichten. Ich hatte auch den Irrglauben, dass ich, sollte ich mich für Yin-Yoga entscheiden, nicht mehr meine Armbalancen und Kopfstand machen darf.
Das gute vorweg - nein, du musst nicht darauf verzichten!
Yin-Yoga könnte allerdings eine wunderbare Ergänzung zu deiner Yogapraxis sein.
Aber warum eigentlich?
Damit wir hier alle kurz auf den gleichen Stand sind einen kurzen Ausreißer zu der Erklärung von Yin und Yang:
Yin und Yang haben ihren Ursprung in der chinesischen Historie. Das bekannte Symbol stammt aus der Zeit des Taoismus und stellt im Groben dar, dass alles im Universum zwei Kräfte enthält. Es steht für totale Gegensätze, die zugleich aber auch völlig voneinander abhängig sind. Denn ohne das Eine kann das Andere nicht existieren und wir könnten das Einzelne so in seiner Ganzheit gar nicht wahrnehmen. Diese Kräfte beziehen sich immer aufeinander und ergänzen sich somit.
Dementsprechend dürfte dir hier langsam klar sein, was ich damit meinte, dass Yin in den meisten Fällen deine eigene, heute meist Yang dominierte, Yogapraxis wunderbar ergänzen kann.
Meine eigene Yogapraxis war vollkommen von Yang dominiert: Fließende, schnelle Abfolgen, mit vielen kraftvollen Elementen. Ich liebte es dabei ins Schwitzen zu kommen, damit mein Agni (inneres Feuer) angekurbelt wird. Doch oft setzte sich damit in dieser Praxis eine gewisse Härte durch.
Aber das hat sich stark verändert durch meine Yoga Aufbauausbildung zu den 500h, als sich ein komplettes Modul dem Yin-Yoga gewidmet hat.
Und damit wurde mein Alptraum wahr. Ein ganzes Wochenende gezwungen zu sein, Yin-Yoga zu praktizieren. Ich hatte echt Angst davor, meine Energie zu unterdrücken und in einen nostalgischen, Depri-Zustand hineinzurutschen.
Doch ihr ahnt es bestimmt schon. Es ist ganz anders gekommen als gedacht. Naja also, meine erste Stunde war tatsächlich genauso wie erwartet, wirklich sehr schwer auszuhalten. Doch was ist es genau, was mir da so schwer viel?
Yin ist für mich, in einer unangenehmen Situation mit mir selbst ausgesetzt zu sein, eine pure Konfrontation mit mir selbst. In einer Position ca. 5 min. lang zu liegen, die auch zwischendrin echt unangenehm werden kann, da sind für mich ständige Diskussionen im Kopf vorprogrammiert und so geht es vielen. Vor allem das eigene Ego wird dir hier begegnen und einige Themen, die im Verborgenen schlummern, für die du dir sonst nicht so viel Zeit nimmst. Aber was du im Yin-Yoga hast, ist genügend Zeit, um dich bewusst mit dir selbst und deinen Themen zu beschäftigen. Davor scheuen sich viele und auch ich habe mich sehr gerne davor gedrückt.
In der zweiten Stunde wusste ich dann allerdings, was auf mich zukommen wird und siehe da: Ich konnte viel besser mit meinem Innenleben umgehen. Konnte ihm gewappnet entgegentreten und schon viel besser die Stimme, die wie ein Kleinkind gemeckert hat, ignorieren und die wichtige Stimme, die mir wichtiges mitteilt, besser hören. Beim Yin hast du wirklich unendlich Zeit in dich hineinzuhören, wie es dir geht und das in wechselnden Positionen, die je nachdem ganz anderen Themen hervorrufen. Es ist eine sehr starke Erfahrung, um sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Ich werde nie vergessen, wie sich in der Mitte der Stunde ganz heimlich eine Träne aus meinem Augenwinkel gelöst hat und damit schlagartig eine Erleichterung der Ruhe in mir ausgebrochen ist. Ich war so in meinem Alltag gefangen und im Arbeits- und Social Stress involviert, dass ich es gar nicht bemerkt hatte, wie sehr ich es mit auf meine Yogamatte geschleppt hatte.
Ich hatte schon länger gemerkt, dass sich etwas ändern muss. Auch hier hatten sich, ohne dass ich es bemerkt habe, in den Alltag schon mehr Yin Elemente eingeschlichen. Allerdings das bewusste Wahrnehmen, dass es das ist, was mir gefehlt hat, war ein weiteres Puzzleteil in meinem Leben, dass das Bild ein Stück weit vervollständigt hat. Yin brachte mir wieder Weichheit, eine klärende Kühle, hat mich geerdet und mich wieder in meiner Weiblichkeit fließen lassen.
Und noch einmal - ich habe mich in Yin-Yoga verliebt!
Diese Weichheit meinen Schüler*innen in meinen Stunden zu schenken ist für mich eine Erfüllung, die ich in keinen anderen Unterrichtsstunden vorher gespürt hatte. Sie liefert so viel Potenzial, sich einfach mal hingeben zu lassen, auf der Matte dahin zu schmelzen oder vielleicht auch innere Kämpfe auszufechten, lässt mein Herz höherschlagen.
Ich hoffe, ich konnte euch ein bisschen inspirieren und motivieren, viel mehr Yin-Elemente in eure ganz eigene Yoga-Praxis zu integrieren und nein, dazu müsst Ihr nicht 60 Minuten Yin-Yoga machen. Noch ein Mythos, den ich hier am Ende beseitigen möchte. Ihr könnt euch hierfür 2-3 Asanas aussuchen, und sie am Ende ganz bewusst im Sinne der Yin-Praxis praktizieren, um bewusst eure Aufmerksamkeit dahin zu lenken. Oft ist am Ende der Stunden ohnehin ein Yin-Part integriert, aber lebe diesen bewusst im Ausgleich und zur Harmonie zum Yang aus.
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